Hörakustik-Meister - Die unbekannten Wesen

Was machen diese Hörakustik-Meister eigentlich so und warum?

Veröffentlicht am: 24.12.2017
Autor/in: Susann Bollweg
Lesezeit: Minuten

Ich bin Hörgeräteakustiker-Meisterin und las vor kurzem, immer betroffener werdend, den Artikel einer „Ü 50“ Gesellin, die in ihrem Berufsleben seitens „ihrer“ Meister-Vorgesetzten soviel auszustehen hatte, wie man es niemandem im Berufsleben wünscht. Flapsig ausgedrückt: Wer solche Meister hat, braucht keine Feinde.

Spontan drängte sich mir die eingangs gestellte Frage auf und ich will sie noch einmal, anders formuliert, stellen:

Was können Meister mehr und/oder besser als Nicht-Meister?

Was wissen wir … mehr? Was haben wir … mehr? Was sind wir … mehr? Nehmen wir mal die Meister in Angriff oder: „Let‘s talk Tapioca“ (aus: New in Town)

Erlauben Sie mir einen ganz kleinen - ok, ein Versuch ist es wert - Ausflug in die Geschichte:

Meister (lat. „Magister“ für „Lehrer“ - engl. Bezeichnung „Master“ - Abkürzung: „Mstr.“) ist ein höherer Berufsabschluss in handwerklichen, künstlerischen, technisch-gewerblichen, landwirtschaftlichen und weiteren Berufen.

Diese Bezeichnung gibt es schon seit dem 8. Jh. Im Mittelalter wurde der Titel für höchste Leistung auf einem bestimmten Gebiet (Meisterschaft) auf folgende Personen angewandt: Handwerker mit dem qualifizierenden Abschluss der Meisterprüfung und eigenem Betrieb.

Wie auch heute mussten 3 Ausbildungsstufen durchlaufen werden: Lehrjunge (damals), Geselle, Meister. Im späten Mittelalter war es üblich, dass die Handwerker nach ihrer Gesellenprüfung ca. 6 Jahre lang auf Wanderschaft gingen. Diese Richtlinien waren sogar bis hin zu Industrialisierung im 19. Jh. üblich. Die Wanderjahre waren die Voraussetzung für den Meistertitel und sollten unter anderem dazu dienen, Erfahrungen zu sammeln. Nach Abschluss der Wanderjahre konnte man durch eine Reifeprüfung zum Meister werden. Diese Prüfung war jedoch sehr aufwendig und kostspielig. (Quelle: Wikipedia und ähnliche Foren)

Zu Zeiten meiner Meisterprüfung musste ich noch 5 Gesellenjahre vorweisen, um zur Meisterprüfung zugelassen zu werden. Ein Umstand, dem in der heutigen Zeit, jedenfalls im Hörgeräteakustiker-Handwerk, ein Hauch Altertümlichkeit aufs Haupt tröpfelt. Gegenwärtig ist es fast üblich, nach der Gesellenprüfung mit den Vorbereitungen zur Meisterprüfung zu beginnen. Und beinahe erforderlich ist es auch. Denn Meister sind Mangelware.

In unserem Zeitalter des MEHR und HÖHER und WEITER und SCHNELLER wird den jungen Gesellen kaum noch Zeit und Muße gewährt, zu entscheiden in welche Richtung sie weiter wandern wollen. Sie werden dringendst gebraucht und übernehmen zum Teil schon Arbeiten in den Fachgeschäften, für die sie sich noch nicht reif genug fühlen. Und es oft auch noch nicht sind.

Ich wohne auf dem Lande und habe von der Natur gelernt, dass es eine Zeit des Säens, des Reifens und der Ernte gibt. Und wie notwendig jede dieser Zeiten ist.

Was tun wir denn mit den jungen Menschen? Wir bürden ihnen Gewichte auf, zum Teil viel zu schwere Gewichte, und wundern uns nachher, dass sie zusammenbrechen. Eine meiner Lehrerinnen sagte mir einmal: „Weißt du, nur was man übt, das klappt !“ Recht hat sie. Nur die Zeit des < Üben dürfens > haben viele sozusagen nicht mehr „auf dem Schirm“. Wie die Gesellin in dem eingangs erwähnten Artikel schon ähnlich ausführte.

Wenn ich auf meine Zeit als junge Hörgeräteakustiker-Meisterin zurückschaue, entsinne ich mich als Erstes an: Unsicherheit. Was sollte ich nun doch alles können und machen und wissen. Es begann eine neue Zeit des Lernens. Wie heißt doch die Inschrift des Apollontempels zu Delphi: Erkenne dich selbst. Ah.

Erforschen wir nun doch mal, was in unserem Handwerk der Aufgabenbereich eines Meisters, ganz ist. Ganz gleich, ob er sicher oder unsicher, reif oder unreif, jung oder alt ist. Eines meiner Zeugnisse gibt da Aufschluss und ich bitte herzlich, das Folgende in Ruhe und mit Muße auf sich wirken zu lassen.

  • Beratung und Betreuung von Kunden
  • Erstellen von Ton- und Sprachaudiogrammen, einschließlich überschwelliger Tests und deren
  • Interpretation zur Hörgerätevorauswahl
  • Hörgerätevorauswahl
  • Anpassung von Hörgeräten mit sprachaudiometrischen Vergleichsmessungen einschließlich Toleranztests, Insitu-Messungen und Einstellung in der Hörgeräte-Messbox
  • Ohrabdrucknahme, Anfertigung und Feinkorrektur von Otoplastiken
  • Einweisung von Kunden in den Gebrauch und die Nutzung von Hörgeräten, einschließlich sämtlicher Nachbetreuungsarbeiten und des Hörtrainings
  • Subjektive und messtechnische Fehlerdiagnose an Hörgeräten
  • Barverkauf
  • Administrative Arbeiten wie das Erstellen von Anpassberichten und Kostenvoranschlägen,
  • Karteiführung, Korrespondenz mit Ärzten, Krankenkassen und Kunden
  • Steuerung und Führung des Fachgeschäftes:
  • Personalführung und Einsatzplanung, Schulung der Mitarbeiter und Ausbildung der Auszubildenden
  • Beobachtung des lokalen Marktes und Initiierung von Marketing-Maßnahmen
  • Kontaktpflege zu HNO-Ärzten und anderen externen Partnern
  • Controlling der betriebswirtschaftlichen Entwicklung des Fachgeschäftes
  • Eigene Schulungen und Vorträge.

Eine ganz Menge, nicht wahr? Ich kann mir vorstellen, dass es in anderen Handwerksberufen ähnlich ist. All diese Aufgaben sind sehr zeitintensiv. Ich glaube, das versteht sich von selbst.

Je nach eigenen Erfahrungen in der Lehrzeit kommt ein Meister damit gut oder weniger gut zurecht. Nicht weil er nicht will, sondern weil er anfangs zu jung und zu unerfahren ist und später das verteidigt, was er dann ja schon immer so machte und was eine, wenn auch zum Teil unberechtigte Sicherheit verspricht. Und weil er stets gepusht wird.

Die Glücklichen unter uns, die ein sogenanntes „Einhorn“ Berufsleben führen, sind hier einmal nur am Rande erwähnt.

Alles vernünftige Lehren und Lernen geschieht aus einer vorangehenden Erkenntnis (Aristoteles).

Und da jeder immer sich selbst mit all seinen Erfahrungen des Lebens mitnimmt, tut er, was er tut.

Ich möchte in diesem Blogbeitrag nicht alle Meister in ihrem Treiben oder Nichttreiben verteidigen und ich werde auch nicht alles gutheißen, was getan wird und wurde. Jeder handelt für sich selbst.

Es geht mir um das Verständnis füreinander und dafür möchte ich werben.

Das Verständnis der Chefs für ihre Meister und vice versa. Das Verständnis der Meister für ihre Gesellen und umgekehrt. Das Verständnis der Meister und Gesellen für ihre Auszubildenden und andersherum.

Denn wenn ich jemanden verstehe und seine Handlungen begreife, kann ich ihn anders einschätzen, andere Fragen stellen, eigene Entscheidungen treffen und dafür auch die Verantwortung übernehmen.

Wir sind alle Menschen, möchten glücklich sein und glücklich machen, haben Träume und glauben an die Liebe. Und auch wenn wir wissen, dass das Leben kein Wunschkonzert ist, sondern eher wie eine Pralinenschachtel (… man weiß nie, was man kriegt … / aus: Forrest Gump) bleibt die Hoffnung, dass alles gut wird.

Ich sah an einer Häuserwand folgende Inschrift und damit möchte ich schließen:

Wer ist Meister? - Der was ersann! Wer ist Geselle? - Der was kann! Wer ist Lehrling? - Jedermann!