Hörimplantate in der Hörakustik

Cochlea-Implantate – Wenn Hörgeräte nicht mehr ausreichen

Veröffentlicht am: 22.10.2017
Autor/in: Jenny
Tags: #Fortbildung, #Hörakustik
Lesezeit: Minuten

Viele Hörakustiker kennen nur ihr eigenes Kernsortiment. Knochenleitung messen? Um Himmels Willen – dann sitze ich den ganzen Tag mit dem Kunden hier. Und wie war das nochmal mit der Vertäubung? Das kann ich dem Kunden nicht antun… und schon gar nicht mir selber! Du kennst diese Gedanken? Dann lohnt es sich, einmal darüber nach zu denken.

Jeder Mensch ist anders und verdient die beste, ihm individuell gerecht werdende Behandlung. Wenn ein reguläres Hörgerät nicht mehr ausreicht, gibt es immer noch viele Möglichkeiten für den hörgeschädigten Kunden.

In diesem Blogeintrag bekommst Du eine grobe Einführung in das Thema Hörimplantate mit folgender Aufteilung:

  • Wie hört der Mensch? Eine kurze Wiederholung

  • Cochlea-Implantate – Wenn kein Hörgerät mehr ausreicht

  • Mittelohrimplantat Vibrant Soundbridge

  • Knochenleitungsimplantate BAHA und Bonebridge

Der Übersicht halber verzichte ich darauf, vollimplantierbare Hörsysteme und Hirnstammimplantate zu beschreiben. Hirnstammimplantate übersteigen den regulären Tätigkeitsbereich der Hörakustiker, da diese mit Strom direkt am Gehirn arbeiten und das Risiko zu groß ist. Wen es aber dennoch interessiert, freut sich über folgende Links:

Hirnstammimplantate

vollimplantierbares Hörsystem

Wie hört der Mensch? Eine (wirklich) kurze Wiederholung.

  1. Zunächst wird der Schall über die Ohrmuschel in den Gehörgang geleitet.

  2. Der Schall durchläuft den Gehörgang, an dessen Ende das Trommelfell sitzt und in Schwingungen gerät. Hinter dem Trommelfell befindet sich das Mittelohr.

  3. Mit dem Trommelfell verbunden ist die Gehörknöchelchenkette (GKK) mit den Knöchelchen Hammer („malleus“), Amboss („incus“) und Steigbügel („stapes“). Die Gehörknöchelchenkette gerät ebenfalls in Schwingung und verstärkt den aufgenommenen Schall durch die Flächentransformation und die Hebelwirkung um insgesamt 27dB.

  4. Die Steigbügelfußplatte verbindet die GKK mit der Hörschnecke (Cochlea) über das ovale Fenster. Hinter diesem befindet sich die Cochlea mit ihren drei Gängen „Vorhoftreppe“ (Scala Vestibuli), „Schneckengang“ (Scala Media) und „Paukentreppe“ (Scala Tympani).

  5. Im Schneckengang befindet sich das Corti-Organ, welches die Äußeren und Inneren Haarsinneszellen beherbergt.

  6. Die äußeren Haarsinneszellen dienen als Verstärker von leisen Tönen bzw. als Dämpfer der lauten Töne. Sie wirken bei leisen Tönen bis ca. 50dB.

  7. Die inneren Haarsinneszellen sind mit dem Hörnerv verbunden. Schwingen diese hin und her, öffnen und schließen sich durch kleine Proteinfäden (Tiplinks) die Transduktionskanäle, welche daraufhin Aktionspotenziale ermöglichen und somit den Hörnerv aktivieren. Er leitet das Signal weiter zum Gehirn, wo das Signal dekodiert und ausgewertet werden kann.

Cochlea-Implantate – Wenn kein Hörgerät mehr ausreicht

Problemzone: Hörschnecke

Wenn die Cochlea einen an Taubheit grenzenden Hörverlust aufweist und gleichzeitig kaum noch Sprachverstehen durch den Kunden (beispielsweise beim Freiburger Sprachtest) mit Hörgeräten möglich ist, darf man als Akustiker zum Wohle des Kunden auch auf ein Cochlea-Implantat hinweisen, wenn es keine wirtschaftliche Beratungsentscheidung vonseiten des Akustikers ist. Voraussetzung für die Implantation ist unter anderem ein intakter Hörnerv (das wird allerdings im Rahmen ausführlicher Untersuchungen von den Ärzten geprüft).

Das komplette Cochlea-Implantat besteht aus einem internen Teil, welches aus einer Spule, einem Signalprozessor mit Stimulator und einem Elektrodenstrang besteht. Der Elektrodenstrang wird während eines operativen Eingriffs in die Hörschnecke eingeführt.Dank unserem Model (Petra Steyer) können wir uns anschauen, wie ein Cochlea-Implantat am Kopf aussieht. Wenn Du mal sehen möchtest, wie so eine Operation verläuft, findest Du hier das passende Video in Kurzversion (aber bitte nur ansehen, wenn Du auch Blut vertragen kannst! Wir übernehmen keine Haftung :slight_smile:)

Kurzversion einer Operation

Ein Sprachprozessor bildet den externen Teil des Cochlea-Implantates. Wie ein großes Hörgerät wird er meistens hinter dem Ohr getragen. Ein Kabel leitet von hier aus das vorberechnete Signal an die Spule weiter, welche mittels Magnet an der Kopfhaut hält. Einige Hersteller bieten auch Prozessoren an, die direkt über einen Magneten am Implantat halten. Der Kunde darf hier selbst entscheiden, was ihm lieber ist.

Der Sprachprozessor hinter dem Ohr nimmt das Signal auf und berechnet es nach der Einstellung (MAP) des Audiologen vor (unter Beachtung der unterschiedlichen Features). Von hier aus wird das Signal weiter an die am Kopf sitzende Spule geleitet, die es durch die Haut an das innenliegende Implantat leitet. Dieses dekodiert das Signal und am Eletrodenstrang in der Schnecke entstehen elektrische Impulse, welche durch das elektrische Feld den Hörnerv reizen und aktivieren. Im Laufe der Zeit kann man im Gehirn eine Neustrukturierung der Neuronen beobachten, welche in den meisten Fällen zu einem deutlich besseren Sprachverstehen führen. Manche Cochlea-Implantat-Träger erreichen sogar nach intensivem Hörtraining beim Freiburger Sprachtest ein 100%iges Sprachverstehen mit CI.

Im Gegenzug zu einem konventionellen Hörgerät gibt ein Cochlea-Implantat nicht Schall, sondern Strom ab. Darum sollte man auch großen Respekt hiervor haben. Mögliche Fehler bei der Programmierung eines Cochlea-Implantates können zur Reizung des Fazialisnervs führen. Das kann folgendermaßen aussehen: Bei einem bestimmten Geräusch zuckt beispielsweise das Augenlid nur durch die elektrische Stimulation des Nervs.

Einstellen von Cochlea-Implantaten

Die Anpassung von Cochlea-Implantaten wird meist von Ingenieuren in Kliniken durchgeführt. Trotzdem gibt es auch einzelne Akustiker, die über spezielle Kooperationen in Kombination mit intensiver Fortbildung auch CIs einstellen dürfen.

Durch Cochlea-Implantate muss das Hören komplett neu erlernt werden. Euer Kunde braucht Geduld und Zeit dafür. Um euch in die Situation hinein versetzen zu können, gibt es hier ein passendes Beispiel, wie das Hören mit CI klingt:

Klangbeispiel

Da unser Gehirn allerdings ein Wunderwerk der Berechnung ist, wird euch kaum ein CI-Träger sagen, dass sein CI genau so klingt. Mit der Zeit lernt das Gehirn, die Informationen so aufzuarbeiten, dass es für den Hörenden wie ein normaler Klangeindruck erscheint. Trotzdem muss man bedenken, dass das CI eine Prothese ist und Grenzen in der Performance aufweist.

Elektroakustische Stimulation / Hybrid-CI

Natürlich gibt es auch eine Art „Zwischenlösung“ aus Cochlea-Implantat und Hörgerät. Besonders für Hochtonsteilabfälle, welche bekanntlich sehr schwierig zu versorgen sind, ist dieses Implantat geeignet. Durch eine geringe Insertionstiefe (Einführungstiefe) des Elektroden-Arrays wird nur der basal-mediale Teil der Hörschnecke elektrisch stimuliert und der apikale Teil der Hörschnecke (wo man die tiefen Töne hört) wird über einen akustisch verstärkenden Teil vom Prozessor stimuliert. Man spricht hier von einer restgehörerhaltenden Operation oder auch einfacher formuliert: Der Prozessor ist ein halbes CI und ein halbes Hörgerät. In den tiefen Tönen wirkt er über einen Ex-Hörer und im Bereich der hohen bis mittleren Töne erfolgt die elektrische Stimulation des Hörnervs.

Gerade wenn durch einen Hochtonsteilabfall das Sprachverstehen massiv eingeschränkt ist, kann so etwas eine hervorragende Lösung für einen Kunden sein.

Vibrant Soundbridge (VSB)

Für Menschen, die beispielsweise unter einer Missbildung des Ohres leiden oder aus anderen Gründen konventionelle Hörsysteme nicht vertragen, gibt es unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit eines aktiven Mittelohrimplantates (Vibrant Soundbridge).

Auch dieses besteht wieder aus einem äußeren und einen inneren Teil. Der äußere Teil ist, ähnlich wie beim Cochlea-Implantat, ein Sprachprozessor, der über einen Magnet an der Kopfhaut festgehalten wird.

Auch bei der VSB wird mittels eines invasiven Eingriffs in das Mittelohr das Implantat eingesetzt. An den Steigbügel oder direkt an das Innenohr wird der FMT (Floating Mass Transducer) befestigt, welcher später die Gehörknöchelchenkette in Schwingungen versetzen soll.

Hier findet ihr ein Video des Herstellers MED-EL, welches das Ganze veranschaulicht:

VBS Veranschaulichung

Mögliche Indikationen für eine VSB sind bei einer reinen Schallleitungsschwerhörigkeit oder einer kombinierten Schwerhörigkeit gegeben, bspw. nach einem Mittelohreingriff. Aber auch bei reiner Innenohrschwerhörigkeit und gleichzeitiger Krankheit des Außenohres (chronische Gehörgangsentzündung, Missbildungen, etc.) ist eine VSB eine gute Alternative zum Hörgerät. Wichtig ist hierbei allerdings, dass keine Mittelohrkrankheiten vorliegen, die einen Fortschritt des Hörverlustes bewirken (z.B. Otosklerose)! Ein fortschreitender Hörverlust ist eine Kontraindikation für die VSB.

BAHA / Bonebridge

Das BAHA, bzw. die Bonebridge fallen unter die Kategorie „Knochenleitungshörimplantate“. Der externe Teil ist beim BAHA über einen Klickverschluss oder über Magnet am eigentlichen Implantat befestigt. Das Implantat selbst ist im Knochen verankert (Bone Anchored) und versetzt den Knochen in Schwingungen, welcher dadurch über die Knochenleitung das Innenohr direkt stimuliert. Somit wird ein Defekt im Außen - oder Mittelohr umgangen.

Geeignet ist das BAHA, bzw. die Bonebridge für Kunden, die aufgrund von chronischer Mittelohrentzündung, Missbildung des Ohres oder sonstigen Krankheiten im Außen - und Mittelohr keine konventionellen Hörgeräte tragen können. Im Bereich der BAHA-Geräte gibt es unterschiedliche Verstärkungsstufen. Um das richtige Gerät zu finden, orientiert man sich hier an der Knochenleitung

Bilder und Videos zum Thema „Baha“ und „Bonebridge“ findet ihr hier:

Bonebridge

BAHA

Fazit

Sobald es an das Thema “Mittelohrimplantate” und “Knochenleitungsimplantate” geht, ist eine korrekte Knochenleitungsmessung unumgänglich, aber auch in der regulären Hörgeräteeinstellung findet diese Einfluss. Beispielsweise kann eine Mittelohrkrankheit in die Auswahl des geeigneten Hörsystems in Bezug auf die Reserve einkalkuliert werden.

Um den Kunden umfassend und korrekt beraten zu können, ist eine einwandfreie Knochenleitungsmessung, nötigenfalls unter Vertäubung, folglich bei jedem Kunden empfehlenswert.

Hörimplantate sind durchaus nicht bei jedem Hörakustiker selbstverständlich. Für mich gehören sie zu dem notwendigen Repertoire der Hörlösungen für unsere Kunden. Auch, wenn man nicht täglich damit konfrontiert wird: Schlussendlich ist der Meister kein Meister, weil er seinen Alltag gut meistert. Meisterliche Arbeit zeigt sich, indem man über den Tellerrand hinaus schaut und bereit ist, für den Kunden sein Bestes zu geben.