Zusatzbohrungen richtig einsetzen

Wie Modifikationen an der Otoplastik die akustische Wirkung beeinflussen

Veröffentlicht am: 4.12.2025
Autor/in: Placing-Me
Tags: #Hörakustik, #Hörgeräte, #Tipps
Lesezeit: Minuten

Zusatzbohrungen gehören zu den wichtigsten Stellschrauben bei der akustischen Feinabstimmung von Otoplastiken. Doch die optimale Gestaltung ist alles andere als einfach. Sie bewegt sich zwischen zwei Zielen, die sich auf den ersten Blick widersprechen: Komfort und akustische Effizienz.

Grundsätzlich gilt:
- Für das Tragegefühl sollte die Otoplastik so offen wie möglich sein.
- Für die Akustik sollte sie so geschlossen wie möglich bleiben.

In der Praxis bedeutet das: Es braucht einen Kompromiss, der sowohl Komfort als auch Wirkung berücksichtigt. Eine gute Belüftung ist dafür unverzichtbar – und zwar aus mehreren Gründen:

  • Verringerung entzündlicher Prozesse
  • Reduzierung von Bakterienwachstum
  • Erhöhung des Tragekomforts
  • Minimierung von Kondenswasser in der Schallleitung
  • Weniger Schwitzwasser im Gehörgang

Um diesen Spagat zu meistern, müssen mehrere technische Faktoren betrachtet werden, die die Wirkung der Zusatzbohrung maßgeblich bestimmen.


Faktoren, die die Zusatzbohrung beeinflussen

Die akustische Wirkung einer Zusatzbohrung hängt vor allem von vier Parametern ab:

  1. Länge der Bohrung
  2. Durchmesser der Bohrung
  3. Restvolumen des Gehörgangs
  4. Sitz der Otoplastik

Alle vier Größen wirken zusammen und bestimmen die resultierende Resonanzfrequenz – und damit, wie viel Schall über die Bohrung entweicht oder in den Gehörgang gelangt.


1. Die Länge der Zusatzbohrung

Die Zusatzbohrung wirkt gemeinsam mit dem Restvolumen des Gehörgangs als Helmholtzresonator. Wird die Bohrung kürzer, steigt die Resonanzfrequenz deutlich an.

Beispiel:
- Halbiert man die Länge, steigt die Resonanzfrequenz um etwa 41 Prozent.
- Eine 0,8-mm-Bohrung wirkt dann akustisch wie etwa 1,1 mm.
- Gleichzeitig nimmt die Belüftung um rund 60 Prozent zu (EUHA 2016).

Kurze Wege lassen die Otoplastik also wesentlich offener wirken – auch wenn der Durchmesser unverändert bleibt.


2. Der Durchmesser der Zusatzbohrung

Auch der Durchmesser hat starken Einfluss auf die Resonanzfrequenz:

  • Eine Verdopplung des Durchmessers führt zu einer Verdopplung der Resonanzfrequenz.
  • Die Belüftung steigt dabei um etwa 180 Prozent (EUHA 2016).

Wird die Bohrung breiter, wirkt sie akustisch also deutlich offener – und das bereits bei kleinen Änderungen.


3. Das Restvolumen des Gehörgangs

Je kleiner das Restvolumen, desto höher die Resonanzfrequenz – unabhängig davon, ob Bohrung oder Durchmesser geändert werden.

Beispielrechnung:
- Bei 2 cm³ Restvolumen, 20 mm Länge und 0,8 mm Durchmesser: 383,65 Hz
- Bei 0,5 cm³ Restvolumen: 767,3 Hz

Das zeigt: Die gleiche Bohrung kann, je nach anatomischer Gegebenheit, völlig unterschiedlich wirken. Große Zapfenlängen oder kleine Gehörgänge (z. B. bei Kindern) verschieben die Resonanz dramatisch.


4. Der Sitz der Otoplastik

Ein unzureichender Sitz führt zu Undichtigkeiten. Diese Undichtigkeiten wirken wie zusätzliche Öffnungen – allerdings unkontrolliert. Dadurch werden Ergebnisse unvorhersehbar.

Aus diesem Grund setze ich Zusatzbohrungen grundsätzlich selbst.
Erst beim fertigen Sitz lässt sich einschätzen, ob:

  • der Zapfen noch gekürzt wird (wirkt auf das Restvolumen),
  • die Bohrung angepasst werden muss,
  • die Abdichtung ausreichend ist.

Eine Bohrung größer zu machen ist unkompliziert. Eine bestehende Bohrung zu verschließen hingegen aufwändig – oft bleibt nur der Neusatz.

Ob eine Otoplastik wirklich dicht sitzt, zeigt die InSitu-Messung. Eine geschlossene Otoplastik sollte in allen Frequenzen dämpfen. Erst dann lässt sich bestimmen, wie groß die Zusatzbohrung sein muss, um die gewünschte Wirkung zu erzielen.


Was bedeutet die Resonanzfrequenz praktisch?

  • Unterhalb der Resonanzfrequenz wirkt die Zusatzbohrung offen. Schall gelangt hinein und hinaus.
  • Oberhalb der Resonanzfrequenz dämpft die Otoplastik. Der Schall verbleibt im Ohr und muss verstärkt werden.

Die Vent-in- und Vent-out-Effekte sind also direkt an die Resonanzfrequenz gekoppelt und bestimmen, wie offen oder geschlossen die Versorgung am Ende ist.


Übersicht: Wirkung verschiedener Ventkanäle

Diese Tabelle orientiert sich an den Grundlagen aus dem Otoplastikbuch von Ulrich Voogdt und wurde angepasst:

Ventkanal Wirkung Resonanzfrequenz
d bis 0,8 mm, Länge > 2 cm geringer Luftaustausch niedrig (< 500 Hz), keine Resonanzspitze
d bis 0,8 mm, Länge < 1 cm mittlere Belüftung 500–800 Hz, keine Resonanzspitze
d 1,0–2,0 mm, Länge > 1 cm mittlere Belüftung 500–800 Hz, leichte Resonanzspitze
d > 2,0 mm, Länge < 1 cm gute Belüftung 1,5–2,5 kHz, nutzbare Resonanzspitze
d > 2,0 mm, sehr kurz (< 0,4 cm) sehr gute Belüftung, HT-Boost ca. 3 kHz, nutzbare Frequenzspitze

Alternative zur Bohrung: Gehörgangsrille

Bei sehr offenen Versorgungen ist eine Bohrung nicht immer notwendig.
Eine vollständig ausgefräste Gehörgangsrille:

  • kann nicht verstopfen,
  • verändert die eigene Stimme weniger,
  • ist einfacher zu reinigen,
  • bietet eine dauerhaft stabile Belüftung.

Mit Erfahrung und InSitu-Messungen lässt sich auch mit dieser Technik eine erstaunlich geschlossene Versorgung erreichen – allerdings erfordert dies etwas Übung.


Fazit

Die Zusatzbohrung ist ein zentrales Werkzeug in der akustischen Feinanpassung. Länge, Durchmesser, Restvolumen und Otoplastiksitz beeinflussen die Resonanz und damit den akustischen Effekt unmittelbar. Erst die Kombination aus Messungen, Erfahrung und anatomischem Verständnis ermöglicht eine wirklich optimale Versorgung.

Wer sich intensiver mit der Wirkung beschäftigen möchte, gewinnt durch InSitu-Messungen wertvolle Erkenntnisse – und damit die Möglichkeit, jede Otoplastik präzise auf den Kunden anzupassen.

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