Das Auge - Myopie-Management

Teil 4: Mit verschiedenen Methoden das Wachstum myoper Augen bremsen

Veröffentlicht am: 21.1.2022
Autor/in: Ann-Katrin
Lesezeit: Minuten

Die Myopie nimmt auf der ganzen Welt zu. So gehen die World Health Organization (WHO) und das Brian Holden Institut aus Sidney davon aus, dass bis zum Jahr 2050 die Hälfte der Menschen kurzsichtig sein wird. Schon jetzt seien Studien zufolge vor allem die europäischen 20- bis 29-Jährigen myop, jedes zweite Kind unter zehn Jahren ist oder werde myop. Ein kurzsichtiges Auge hat in der Regel einen zu langen Augapfel, wie im dritten Teil der Serie rund um das Auge erklärt wurde. Durch die vermehrte Naharbeit mit digitalen Medien wird das Auge angeregt, weiter zu wachsen – und damit erhöht sich die Myopie.

Warum sollte das Auge am Wachstum gehindert werden? Je höher die Myopie ist, desto mehr begünstigt sie ernsthafte Augenerkrankungen wie Risse in der Netzhaut, eine Netzhautablösung, eine myope Degeneration der Netzhaut (Verdünnungen und Vernarbungen) oder ein Offenwinkelglaukom, die im schlimmsten Fall dafür sorgen, dass der betroffene Mensch erblindet. Das Risiko für eine solche Erkrankung steigt teils um das 3- bis 16-fache, je weiter die Myopie wächst. Deshalb ist es sinnvoll, den Augapfel gezielt am Wachsen zu hindern, um einer voranschreitenden Myopie entgegenzuwirken und die Folgeschäden kleinzuhalten.

Schon gewusst? „Myops“ stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet so viel wie „Blinzelgesicht“. Der Begriff der Myopie wurde davon abgeleitet, denn viele myope Menschen kneifen ihre Augen zusammen, um schärfer zu sehen.

Wie kann die Myopie gebremst werden? Im Bereich der Myopiekontrolle wurden in den letzten Jahren zahlreiche Studien durchgeführt, aus welchen hervor geht, dass es bei frühzeitigen Maßnahmen möglich ist, die Myopisierung deutlich zu verlangsamen. Es gibt verschiedene Methoden, deren Effektivität sich unterscheiden. So zeigen die Atropin-Augentropfen, abhängig von der Dosierung, eine Wirkung von bis zu 80 Prozent. Die Ortho-K-Linsen verlangsamen die Myopie um 30-100 Prozent und und die neuen Miyosmart Defokus-Brillengläsern vom japanischen Glashersteller Hoya weisen eine Wirkung von rund 60 Prozent auf.

Vier Methoden für das Myopie-Management

Zur Verlangsamung der Myopisierung sind einige Studien sehr vielversprechend. Es gibt verschiedene Methoden, die im nachfolgenden genauer vorgestellt werden:

Atropin-Augentropfen

Wenn kurzsichtige Kinder regelmäßig gering dosierte Atropin-Tropfen erhalten, schreitet das Augenlängenwachstum langsamer voran. Dies geht auf eine Studie von Ophthalmologen am Singapore National Eye Center zurück. In der fünfjährigen Studie behandelten sie 400 kurzsichtige Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren. Mit der geringsten Dosis Atropin (0,01 Prozent) konnte die Myopie um 80 Prozent verzögert werden. In der Augenheilkunde setzt man Atropin in höherer Konzentration seit vielen Jahren ein, um zum Beispiel den Augenmuskel vorübergehend zu lähmen und die Pupille zu erweitern. Darüber hinaus können Atropin-Tropfen gegen störende Glaskörpertrübungen helfen. Diese werden bei größerer Pupille weniger stark wahrgenommen, vor allem wenn sie zu nah an der Netzhaut oder Linse sind. Allerdings gibt es Nebenwirkungen: Die Pupille kann sehr groß werden und es kann dazu führen, dass sich die Linse schwer auf die Nähe einstellt. Bei zu starken Nebenwirkungen kann mit selbsttönenden Gläsern Abhilfe geschaffen werden. Eingesetzt werden die Tropfen meist bei kleinen Kindern zwischen fünf bis neun Jahren. Sie werden täglich am Abend kurz vor dem Schlafengehen getropft und je nach Verlauf über mehrere Jahre gegeben. Regelmäßige Kontrollen beim Augenarzt sind verpflichtend, um den Verlauf zu dokumentieren.

Schon gewusst? Atropin wurde früher aus der schwarzen Tollkirsche gewonnen. Das Waldnachtschattengewächs bildet kirschfruchtähnliche Beeren und ist sehr giftig.

Orthokeratologie

Die Ortho-K-Linsen werden über Nacht getragen. Sie verändern dabei die Zellschichten in der Hornhaut, sodass die Fehlsichtigen tagsüber scharf sehen können – ohne Brille oder Kontaktlinsen. Durch die Abflachung wird ein peripherer myopischer Defokus erzeugt und kann so das Längenwachstum des Auges hemmen. Stand heute haben sie die höchste Erfolgsquote beim Myopie-Management, denn sie werden individuell gefertigt und haben dadurch eine enorm gute Passgenauigkeit. Als Nachteil ist anzumerken, dass die Fehlsichtigen anfangs Doppelbilder oder sogenannte Halos (Lichtkränze um Leuchtquellen) wahrnehmen können. Korrigiert werden kann mit den Linsen eine Myopie bis etwa sechs Dioptrien sowie ein geringer Astigmatismus. Je früher und regelmäßiger sie getragen werden, desto höher ist der Erfolg.

Schon gewusst? Die Wirkung der Ortho-K-Linsen lässt nach – wird die Linse ein paar Tage nicht getragen, geht die Hornhaut langsam in ihre ursprüngliche Form zurück und die Fehlsichtigkeit kommt zurück. Da dies auch schon während des Tages unmerklich passiert, ist vor allem für Autofahrer angeraten, nachts nicht zu fahren oder die Linsen zu tragen. Eine Bescheinigung für den Fall einer Verkehrskontrolle ist sinnvoll.

Multifokale Kontaktlinsen

Neben den harten Ortho-K-Linsen entwickeln andere Kontaktlinsenhersteller ihre eigenen Produkte. Die weichen Defokus- Linsen können die Myopie um bis zu 45 Prozent verlangsamen. Sie korrigieren die Fehlsichtigkeit durch das bekannte Design der multifokalen Linsen – die Nähe ist im Zentrum der Linse und die Ferne in der Peripherie – oder umgekehrt. In der Praxis haben sich Additionen zwischen 1,5 und 2,5 Dioptrien bewährt. Auch hier besteht die Annahme, dass durch die Addition in der Kontaktlinse ein peripherer myopischer Defokus erzeugt wird und dieser das Wachstum des Auges hemmt. Neu entwickelte Kontaktlinsen nutzen das Konzept: die MiSight Linse von CooperVision, welche 2017 auf den Markt kam, besteht aus vier ringförmigen optischen Zonen. In der Mitte befindet sich eine Korrektionszone, weiter außen eine Myopie-Kontrollzone, dann nochmal eine Korrektionszone und eine weitere Myopie-Kontrollzone. Jedoch sind die Durchmesser der Zonen größer. Auch so kann durch den Defokus das Längenwachstum gebremst werden.

Miyosmart Brillenglas

Der japanische Brillenglashersteller Hoya hat mit der Hongkong Polytechnic University im Jahr 2014 ein Defokus-Brillenglas namens Miyosmart entwickelt. Die zugrundeliegende Technologie besteht aus einem Einstärkenglas, auf dessen Vorderfläche hunderte kleine Segmente angebracht wurden, die einen myopischen Defokus bilden. In der Mitte befindet sich ein pupillengroßer Bereich, durch den eine scharfe Abbildung im Auge gewährleistet ist. Den Studien zufolge bremst das Brillenglas das Längenwachstums des Auges um rund 60 Prozent. Wichtig ist eine exakte Zentrierung des Glases vor der Pupille des Kindes. Auf dem deutschen Markt ist es seit Sommer 2021 erhältlich.

Das Myopie-Management wird in den nächsten Jahren zu einem wichtigen Thema mit großem Potential. Gerade durch das häufige Naharbeiten mit den digitalen Medien wird das Längenwachstum des Auges angeregt. Kinder sollten sie daher zeitlich nur begrenzt nutzen und sich möglichst viel im Freien aufhalten. In der Serie rund um das Auge gibt es im ersten Teil spannende Fakten zu unserem wichtigsten Sinnesorgan zum Nachlesen, im zweiten Teil finden sich ein paar kuriose Fakten und der dritte Teil erklärt die Fehlsichtigkeiten des Auges.