Zwischen Fachkräftemangel und Quereinsteigern – wohin steuert die Augenoptik?

Warum die Branche gleichzeitig wächst, kämpft und sich neu erfinden muss

Veröffentlicht am: 31.10.2025
Autor/in: Placing-Me
Lesezeit: Minuten

In der Augenoptik passiert gerade etwas Paradoxes: Die Branche boomt – und steht gleichzeitig am Limit. Während Filialisten mit großen Expansionsplänen an jeder Ecke neue Standorte eröffnen, bleibt ein entscheidender Faktor auf der Strecke: das Fachpersonal.
Ausgebildete Augenoptiker sind so gefragt, dass viele Betriebe händeringend nach ihnen suchen – oft vergeblich. Die wenigen, die verfügbar sind, wechseln schnell oder brennen im hektischen Alltag aus.

Schon der Dichter Johann Gottfried Herder wusste: „Was der Frühling nicht säte, kann der Sommer nicht reifen, der Herbst nicht ernten, der Winter nicht genießen.“
Übertragen auf die Branche bedeutet das: Wer heute keine Fachkräfte ausbildet und fördert, darf morgen keine stabile Zukunft erwarten.


Nachwuchs fehlt trotz Rekordzahlen

Der Fachkräftemangel ist kein neues Problem. Laut dem Berufsbildungsbericht des Zentralverbands der Augenoptiker und Optometristen (ZVA) befanden sich 2021/22 zwar 7.654 Auszubildende in der Ausbildung – so viele wie nie zuvor. Trotzdem reicht das längst nicht aus, um den Personalbedarf zu decken.

Viele Auszubildende brechen ab, wechseln den Beruf oder sehen ihre Zukunft nicht dauerhaft im Laden. Die Ursachen sind vielfältig: von fehlender Wertschätzung über geringe Vergütung bis hin zu wenig Entwicklungsperspektiven. Das Ergebnis: Eine Branche, die dringend Nachwuchs braucht, verliert ihre jungen Talente schon in der Ausbildung.


Quereinsteiger als neue Hoffnungsträger

Um die Lücken zu füllen, setzen viele Unternehmen inzwischen auf Quereinsteiger. Große Filialisten wie Fielmann machen es vor: Statt monatelang auf gelernte Fachkräfte zu warten, stellen sie motivierte Verkäufer aus anderen Branchen ein – Menschen, die Spaß am Umgang mit Kunden haben und sich in kurzer Zeit Basiswissen aneignen.

Diese neuen Mitarbeiter werden geschult in den Grundlagen der Optik, im Stil- und Brillenverkauf sowie in einfachen handwerklichen Aufgaben wie dem Anpassen oder Reparieren von Brillen.
Und tatsächlich: Für viele Kunden reicht das. Wer keine komplexen Sehprobleme hat, sondern „einfach nur eine neue Brille“ sucht, ist mit freundlichem Service und einem modischen Gespür oft zufrieden.

Automatisierte Beratungssysteme und digitale Prozesse machen das Konzept noch leichter umsetzbar: Softwareempfehlungen für Gläser ersetzen Fachwissen, und Refraktionsgeräte führen Nutzer mit KI-Unterstützung Schritt für Schritt durch den Messvorgang – ganz ohne tiefgehende Schulung.


Wenn Technik Erfahrung ersetzt

Geräte wie der „Visionix Eye Refract“ ermöglichen Refraktionen in unter vier Minuten. Die Messung läuft computergestützt, präzise und schnell – zumindest auf dem Papier.
Doch Fachwissen lässt sich nicht vollständig automatisieren. Kleine Abweichungen, falsche Achsen oder ein fehlender binokularer Abgleich fallen ohne geschultes Auge kaum auf. Für den Massenmarkt mag das „gut genug“ sein – doch für das handwerkliche Herz der Augenoptik ist es ein schleichender Qualitätsverlust.


Verramscht oder verändert?

Manchmal stellt sich die Frage: Warum eigentlich eine dreijährige Ausbildung und Meisterprüfung, wenn inzwischen wenige Wochen Schulung reichen, um Brillen zu verkaufen und einfache Anpassungen vorzunehmen?
Die Antwort liegt in der Tiefe des Berufs. Augenoptik ist mehr als Beratung und Verkauf – sie ist Handwerk, Präzision, Technik, Medizin und Ästhetik zugleich.

Natürlich entlasten Quereinsteiger den Alltag. Sie übernehmen Serviceaufgaben, kümmern sich um Kunden und halten den Betrieb am Laufen. Doch langfristig darf die Branche nicht vergessen, worauf sie gebaut ist: fundiertes Fachwissen und Leidenschaft für Präzision.


Blick nach vorn

Die Augenoptik steht an einem Wendepunkt. Die Branche wächst weiter, aber der Boden, auf dem sie steht, ist ausgedünnt. Es braucht beides: Quereinsteiger, um den Alltag zu stemmen, und ausgebildete Fachkräfte, um das Niveau zu sichern.
Nur wer heute wieder in Ausbildung, Weiterbildung und Leidenschaft investiert, kann morgen ernten – Fachkräfte, die nicht nur verkaufen, sondern verstehen.

Denn eines ist sicher: Die Welt der Optik ist zu faszinierend, um sie auf Basiswissen zu reduzieren.
Sie verdient Menschen, die sie wirklich begreifen – und dafür brennen.